Über Gianni Crea
Gianni ist seit 10 Jahren Chef-Clavigero, fast die Hälfte der Zeit, die er schon im Vatikan arbeitet. Er leitet ein ganzes Team von Clavigeri, deren scheinbar einfache Aufgabe es ist, täglich über 300 Türen zu öffnen (und wieder zu schließen). Dies ist mit einer immensen Verantwortung und einer verblüffenden Koordinationsgabe verbunden, denn es gibt fast 3.000 Schlüssel, über die sie den Überblick behalten müssen. Als gläubiger Katholik betrachtet Gianni seine Position als Hüter der päpstlichen Sammlungen als einzigartiges Privileg. Wir haben ihn gebeten, seinen reichhalten Erfahrungsschatz mit uns zu teilen – von dem überwältigenden Gefühl, als er zum ersten Mal die Sixtinische Kapelle öffnete, bis hin zu all dem, was Besucher erwarten können, wenn sie ihn bei seiner morgendlichen Runde begleiten.
In den Vatikanischen Museen regt sich nichts, bevor du sie nicht aufgeschlossen hast. Wie sieht dein typischer Morgen aus?
"Um 4:45 Uhr morgens bin ich schon drinnen. Dann beginnen meine Kollegen und ich den Tag, machen die Schlüssel fertig und bereiten uns auf die ersten Gäste der Vatikanischen Museen vor. Für diese besondere Führung halte ich mich ab 5:55 Uhr bereit, um gemeinsam mit ihnen die Türen zu öffnen und ihnen die unglaubliche, einzigartige Schönheit der Museen zu zeigen."
Woher nimmst du die Motivation, so früh aufzustehen?
"Im Italienischen sagen wir 'Il buongiorno si vede dal mattino', was so viel bedeutet wie 'Ein guter Tag beginnt mit dem Morgen.' Es macht mir überhaupt nichts aus, früh aufzustehen, denn ich weiß, dass ich das Glück und die Freude habe, die päpstlichen Museen für Besucherinnen und Besucher aus aller Welt zu öffnen."
Von wie vielen Schlüsseln reden wir hier?
"Es gibt genau 2.797 Schlüssel. Jedes Exemplar ist nummeriert und wird in einem Bunker aus Wandtresoren aufbewahrt, der über ein spezielles Belüftungssystem verfügt, damit die Schlüssel nicht rosten. Dazu gehört auch ein spezielles Set, das nur für das päpstliche Konklave verwendet wird – zwölf Schlüssel, die alle Türen von den Museen bis zur Sixtinischen Kapelle verriegeln, während das Kardinalskollegium zusammenkommt, um einen neuen Papst zu wählen. Und dann ist da noch der wichtigste Schlüssel: der zur Sixtinischen Kapelle selbst. Jede Nacht wird er in einem versiegelten Umschlag aufbewahrt, der vom Clavigeri und dem Verwaltungsbüro gegengezeichnet und in einem eigenen Tresor aufbewahrt wird."
Wie hast du dich gefühlt, als dir dieser heilige Schlüssel zum ersten Mal anvertraut wurde?
"Ich bin mir bewusst, wie viel Verantwortung mir übertragen wurde. Vor allem aber weiß ich um die Bedeutung und den Wert des Themas, sowohl aus historischer als auch aus christlicher Sicht. Es ist ein beständiges Gefühl und eine Verantwortung, die niemals langweilig wird. Das Schließen oder Öffnen der Sixtinischen Kapelle ist immer wieder ein neues, anderes Gefühl, aber das erste Mal werde ich nie vergessen. Es ist ein besonderes Gefühl, das, was ich seit über 20 Jahren lebe, mit den Besuchern des Museums zu teilen."
Genießt du es auch manchmal, diesen Ort ganz für dich allein zu haben?
"Für meine Kollegen und mich ist es einfach einzigartig, ein paar Minuten allein in der Sixtinischen Kapelle stehen zu können. Wenn ich die Besucherinnen und Besucher durch das Museum führe, bin ich fasziniert von ihren Emotionen, von ihrem Staunen, wenn sie durch eine Tür nach der anderen gehen und schließlich in der Sixtinischen Kapelle landen und das Jüngste Gericht und Michelangelos Deckengemälde betrachten. Es mit eigenen Augen zu sehen, ist einfach unermesslich."
Wie fühlt es sich an, Hüter dieser heiligen Stätte der Kunst, Kultur und Geschichte zu sein?
"Ich weiß, dass ich das wichtigste christliche Museum der Welt eröffne, aber Kunst hat die Kraft, Menschen unabhängig von ihrem Glauben zu vereinen. Es ist nicht nur aufregend, sondern auch eine Ehre, die über Worte schlicht hinausgeht. Ob Malerei, Bildhauerei oder Musik – kreative Ausdrucksformen gab es in der Kirche schon immer. Und sie ermöglichten es auch denen, die weder lesen noch schreiben konnten, das Wort Gottes zu verstehen. Das ist es, was wir in den Vatikanischen Museen finden."
Was können die Leute erwarten, wenn sie zu dir kommen?
"Man kann die Geschichte, die einen hier umgibt, förmlich riechen. Man hört das Klimpern der Schlüssel, wenn man durch die leeren Flure geht. Und man spürt eine gewisse Aufregung oder Vorfreude auf das, was sich hinter der nächsten Tür verbergen könnte. Allein das Eintauchen in die Pracht dieser jahrhundertealten Gebäude hinterlässt ein tiefes Gefühl in einem selbst, vielleicht ein Gefühl des Friedens oder der Gelassenheit, das ist bei jedem Menschen anders."
Wo ist dein Lieblingsplatz?
"Neben dem Zauber der Sixtinischen Kapelle liebe ich es, von der Nicchione-Terrasse fast ganz Rom, die Kuppel des Petersdoms und die Vatikanischen Gärten zu bewundern. Für meine Kollegen und mich ist das der perfekte Ort, um am Ende des Tages einen letzten Check zu machen – man kann über die Museen hinweg die Sixtinische Kapelle sehen, um zu prüfen, ob alle Lichter aus sind. Auch die originale Bramante-Treppe, die normalerweise für Besucher nicht zugänglich ist, bietet einen spektakulären Ausblick."
Gibt es nach all den Jahren, in denen du Türen geöffnet und Geheimnisse gelüftet hast, noch Fragen, die unbeantwortet geblieben sind?
"Ich frage mich immer noch: 'Wie war es möglich, all diese Schönheit zu erschaffen, und das vor so vielen Jahrhunderten?' Das kann ich immer noch nicht begreifen. Wohin man auch schaut, sieht man ikonische historische Figuren und wunderschöne Kunst- und Architekturwerke, vor denen man ungläubig stehen bleibt."
Und läuft immer alles glatt?
"Nein, natürlich nicht! Es ist wie bei einem Haus, man findet immer etwas, das nicht in Ordnung ist – sei es eine kaputte Glühbirne oder ein entstandenes Leck. Bei unserer Arbeit ist es ein wenig wie beim Fußball: Die Eröffnung ist Standard, sie muss pünktlich beginnen, aber die Schließung kann oft in die Verlängerung gehen, da wir dafür sorgen müssen, dass alles sicher und für die Besucherinnen und Besucher des nächsten Tages vorbereitet ist."
Wie fühlst du dich, wenn du die Museen schließt – also im Vergleich zum Morgen?
"Wenn alle Besucher gegangen sind und ich die letzte Tür verriegele, bin ich zufrieden, dass ich ihnen die Möglichkeit gegeben habe, diese historische Schönheit zu sehen.Und ich sehe die Freude auf ihren Gesichtern, wenn sie die Sammlungen des Papstes aus fünf Jahrhunderten entdecken."
Wirst du diesen Beruf jemals aufgeben?
"Das habe ich nicht vor. Ich werde hier sein, bis ich in Rente gehe ... solange ich niemanden aus Versehen einsperre."